Zwischen
den Welten |
Am Ende unseres Lebens bleibt eine einzige
Frage: |
Robert Schneider
Die LuftgängerinIn die Liebe fällt man. Nicht aus eigener Kraft und Beschwörung ... Die englische Sprache weiß es genauer: to fall in love. Und von der Liebe wird man wieder erlöst. Auch ohne Zutun, vorausgesetzt man beendet nicht die Zeit. Nur das Verzichtbare verrichtet man im Leben selber. Während sie erzählte, entstand allmählich die merkwürdige Distanz gepflegter Konversation, die Ambros noch nie leiden mochte. Die alemannische Mundart ist die Mundart des Nicht-Sagens. Und ihr Kardinalwort ist das Wort eigentlich ... Ein kurzes Nein täte nicht derart weh wie dieses ungenaue Eigentlich-eher-nicht ... Aber es sind Menschen, die diesen hilflosen Dialekt sprechen. Einmal aber kommt für den rheintalischen Mund die größte Probe: wenn er seinem Geliebten die Formel geben muß. Die Formel, ohne die er sonst nicht mehr leben kann und hoffen und trauen. Die Formel ohne Variable. Das Prinzip:
Er sagt es nicht. Er will es ja sagen, er will es wirklich sagen. Aber in seinem Dialekt gibt es diese Inschrift nicht. Und in seiner Hilflosigkeit weicht er aus ins Hochdeutsche, und dann muss sein Gegenüber plötzlich lachen, weil es so fremd klingt. Und da sie sich ja lieben, lachen sie schließlich beide und helfen sich so über ihr Unvermögen hinweg. "Du kannst mich nicht sein lassen. Du wolltest mich erziehen. Von der ersten Stunde an ... Die wirkliche Liebe arbeitet auf nichts hinaus und erreicht trotzdem alles. Wenn du mich nicht für meine Fehler liebst, kannst du mich nicht für das Große lieben. Ich bin mehr als deine Träume." (Ambros) "Die meisten Menschen haben vor sich selber Angst. Und vor lauter Angst wollen sie es jedem Recht machen. Und dann tun sie Dinge, die sie gar nicht möchten. Ein ganzes Leben lang. Aber wenn ihnen jemand begegnet, der kein Hasenfuß ist, dann hassen sie ihn." (Ambros) Sie, die alle umarmen wollte, die gesamte Jacobsrother Welt, musste erfahren, dass sich im Grunde nur wenige umarmen ließen. "Am Ende unseres Lebens bleibt eine einzige Frage: Bist du dir treu gewesen?" (Margot) Aber. Der Mensch braucht ein Spielzeug ... Die Zerstreuung. Sie wärmt ihn eine Weile von der Kälte des Unendlichen. Denn sowie er begriffen hat, dass das Leben an ein Ende kommt, ... erlebt er Ewigkeit. Darum muss er sich hin und wieder in Oberflächlichkeit ausruhen können. "Solange du ihn mit Hass verfolgst, hat er Macht über dich. Und ihr kommt voneinander nicht los." (Margot) "In der Liebe gibt es keinen Schuldigen, Annamaria. Es gibt nur Liebende und Nichtliebende. So wird es immer sein ... Ein Liebender trifft immer auf einen Nichtliebenden. Einer wird immer mehr lieben, der andere weniger." (Margot) "Warum geht in meinem Leben alles schief? Alles geht daneben." (Amrei) "Weil du andere für deine missglückten Träume verantwortlich machst." (Margot) "Es gibt nur den Moment. Der Augenblick ist die höchste Form von Ewigkeit. Vergangenheit und Zukunft sind Umwege. Sie führen weg von dir." (Margot) "Jetzt gibt es nur noch dich. Du wirst vor niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Vor keinem Gott und vor keinem Menschen. Aber vor dir, vor dir wirst du stehen müssen." (Margot) "Wir lieben nur ein einziges Mal. Und wenn wir soweit sind, ist es entweder zu früh, oder es ist zu spät. Alles andere ist Arrangement." (Margot) "Das Gesetz wiederholt sich so lange, bis es der Mensch nicht mehr braucht." (Maudi) In einem Punkt lässt sich der rheintalische Mensch nicht übertreffen: Anstatt auf den eigenen Schmerz hinzugehen, geht er weg. Wissentlich oder unwissentlich. Kopfüber flüchtend oder sich davonschleichend. In jedem Fall ist er nicht daheim, wenn ihn das Leben besuchen will, mit all seiner Pracht und Grausamkeit. Er lässt sich verleugnen. Er sah sie sofort. Im ersten Moment. In der Sekunde. Ohne Umweg. Augenblicklich. Jäh. Sie. Kein Gedanke, der Wort werden konnte. Kein erinnerliches Bild. Kein alphabetisiertes Gefühl. Seine Augen stürzten auf sie und begriffen den Menschen auf einmal in seiner ganzen, seraphischen Erscheinung. Nichts Fremdes an ihm. Nichts Unbekanntes. Immer bei ihm gewesen. Bei ihm gewohnt. Ihn immer geliebt. Warum schwieg Margot Mangold? ... Ausgerechnet sie, die weder ein Mensch noch das Leben bloßstellen konnte. Ausgerechnet sie, deren Prinzip es immer gewesen war, die Angst vor dem Gegenüber zu überwinden, indem sie die Angst vor sich selbst besiegte. Der Feind lauert innerhalb der Mauern, pflegte sie zu sagen. Weder ist es erzählt worden noch musiziert, noch aufgeschrieben, dass sich Mann und Frau jemals mit derselben Kraft geliebt hätten. Immer war einer schwächer. Einer immer stärker. Einer immer zu früh, einer immer zu spät. Immer. So immer. Wird Schmerz nicht mit Schmerz vergolten, erhält der Misshandelte auf einmal unerklärliche Macht über den, der ihn quält. Es weihnachtete ... und alle schwitzten sie von Geschäft zu Geschäft und meinten das Liebhaben. Und das Liebhaben war ein Parfüm, eine Krawatte oder ein außerirdisches Zwergenwesen mit blauen Riesenaugen. Zeit war für Maudi Latuhr nicht eine Frage der Dauer. Sie war eine Frage der Wahrhaftigkeit. "Ein Luftgänger ist ein Mensch, der nur auf sein Herz hört. Er gehorcht niemandem auf der Welt. Der Luftgänger tut, was er will. Der Luftgänger hat vor nichts und niemandem Angst. Vor allem nicht vor sich selbst. Und weil er keine Angst hat und immer auf sein Herz hört, kann er durch die Lüfte gehen." (Ambros und Maudi) Esther war zu einer berührend schönen Frau geworden, denn ihre Augen waren gereift und trugen Sehnsucht. Trugen ein nicht mehr endendes Verlangen nach der Zwillingsseele ... "Darauf musste ich also warten. Auf die dritte Generation, die den Hass endlich mit Liebe vergilt." (Der Prokurist) "Dein Feind war Kind wie du. Willst du ein Kind beleidigen?" (Margot) Mit einem Lächeln, das sich nur Frauen geben können, amikal und distanziert zugleich, ließ sie Amrei stehen und ging weg. Nicht die Phantasie führt Menschen zusammen. Die Gesetzlosigkeit des Lebens tut es. Und diese Gesetzlosigkeit ist um vieles phantastischer als alle menschliche Erfahrung. Zynismus aber ist die Äußerung des Gefühls vom Ungeliebtsein. Ungeliebt empfindet sich ein Mensch dann, wenn er an der eigenen Liebesfähigkeit scheitert. Wie die Eifersucht immer Ausdruck mangelnder Liebeskraft ist oder der Neid Symptom fehlenden Selbstbewusstseins. Die Geburt eines jeden Krieges ist die persönliche Kränkung. |
Die Unberührten"Antonia ist im Begriff, aus einer Illusion Wahrheit zu erschaffen. Das nennt man träumen. Diese Welt schmeckt ihr nicht, also erfindet sie eine neue. Nicht die Nüchternen machen die Welt bewohnbar - die Träumer." (Der Monsignore) "Wir wissen nicht einmal, was richtig und was falsch ist. Wir reden es uns nur ein und bestrafen die, die uns nicht glauben." (Der Monsignore) "Die wirkliche Liebe kennt keine Hoffnung, keine Berechnung und hat keinen Plan. Darum ist sie so groß." (Der Monsignore) Nichts ist schwer für einen Liebenden. (Cicero) Antonias Kindergesicht strahlte auf. Ihre von jeder Traurigkeit unberührten Augen verströmten ein Licht, das schon äonenlang in ihrer Seele prangte ... Ein unbegreifliches Licht ohne Quelle. Ein allerkürzestes, urplötzlich übers Antlitz huschendes, göttliches Licht. Genau in diesem Moment ging die Liebe über Antonias Gesicht. Ein sinnloses Leben war leicht zu ertragen ... Aber ein Leben auszuhalten, in dem es plötzlich eine Vision gab, die sich nicht erfüllen sollte, war unerträglich. Das Wesen der menschlichen Seele lässt sich vorzüglich an den Feindschaften studieren, die sie zu anderen Seelen unterhält. |
Der Papst und das MädchenDas Furchtbare in der Liebe ist die Hoffnung. Sie bringt den Menschen von sich weg, doch die Erfüllung vollzieht sich in ihm selbst. Erst viele Jahre später ... begriff ich, was es mit dem Licht in Vaters und in Amelias Augen auf sich hatte. Es war mein eigenes Augenlicht. Ich hatte mich nur gespiegelt. Gespiegelt in den Augen der Menschen, die mein Herz am tiefsten berührt haben. Aber was man beschwört oder mit feurigem Eifer ablehnt, ist die eigene Verletzung. Das Gegenüber ist immer ein Spiegel. |
Schatten"Die Wahrheit ist das kleinere Übel." (Florence) "Es ist immer etwas Sinn im Wahnsinn." (Florence) "Es gibt sehr wohl eine Liebe ohne Schmerz." (Kasha) "Ich brauchte lange Jahre, um zu begreifen, dass Liebe nichts mit Erobern und Erobertwerden zu tun hat. Die Liebe braucht keine Macht. Die Liebe hat Ohnmacht, tiefe, schutzlose Ohnmacht." (Florence) "Gerade der Liebende sieht klar. Nur der Liebende erkennt die Welt. Weil er sich selber erkennt und plötzlich eine Idee davon bekommt, wer er sein kann und was er bislang war - ein Schatten seiner selbst, ein Wesen ohne tiefere Notwendigkeit. Es gibt nur eine Notwendigkeit in diesem Leben. Heimkommen zu sich selbst." (Florence) "Der Liebe ist es egal, ob sie wiedergeliebt wird. Das bekümmert sich nicht. Sie geht auf wie die Sonne. Sie ist wie das Herz, das schlägt oder nicht mehr schlägt." (Florence) "Den Schatten eines Menschen zu schauen ist die vielleicht größte Macht, die man über ihn haben kann. Nur die Liebe ist noch größer, weil sie sich selbst dieser Macht entzieht." (Florence) Diese Freundschaft ist nie abgebrochen, denn eine wirkliche Freundschaft bedarf keiner Rituale. "Unser Körper ist nicht bloß die Hülle unserer Seele. Unsere Hände haben Blätter, unser Mund Sterne, unser Rücken ist das Meer." (Florence) "Mit Widersprüchen und Gegensätzen zu operieren ist der raffinierteste Schatten, in dem man sich verstecken kann." (Kasha) "Jemand, der schweigt, täuscht sich nicht." (Kasha) "Jeder kriegt vom Leben, was er verdient." (Kasha) |
KristusChristus war anders als er gepredigt worden war. "Auch wenn wir die Wahrheit sehen, glauben wir sie nicht." (Gerrit tom Kloister) Die Kraft (Anmerkung: ... die eine Lüge stets kostet) solle man eher für die Wahrheit aufwenden. Im Schweigen des Gegenübers liegt die eigene Antwort. "Muselmane, Christ und Jüde sind doch nur Unterscheidungen für die Kleinen im Geiste, für die Ängstlichen des Herzens." (Ibram Gonçalves) Sie waren einander nah und dann wieder so fern wie es nur gute Freunde sein können. "Die Wahrheit ist manches Mal so ungeheuerlich, dass sie für Narrheit erkannt wird." (Gerrit tom Kloister) |
Die OffenbarungDas war sie, die Kindheit. Auf einem Bein stehen können am Abgrund. Nicht zittern, nicht wanken, nicht umfallen. Gegen alle Gesetze der Schwerkraft, denn die Schwerkraft war eine Erfindung der Erwachsenen. Nein, der Glanz, das Licht, die Bewunderung, in die er sich all die Jahre hineingeträumt hatte, waren in Wirklichkeit eine sengende Hitze aus Eitelkeiten, Gier, Machtstreben und Anmaßungen. Waren eine Hitze, in der er früher oder später umkommen würde. Sich selber eine Umarmung zu schenken bewirkt mehr, als aller Ruhm dieser Welt, der genau einen Atemzug lang anhält. Im Schatten ist das Paradies, nicht in der brennenden Sonne. |
© Hubert Hirsch - Poetische Tagträume