Gegen
den Untergang |
Auch Unwirkliches wirkt an der Verwirklichung von Wirklichem mit. |
Peter Kafka
Gegen
den Untergang Den Vorwurf der Arroganz akzeptiere ich mit Bescheidenheit. Unseren öffentlich bestallten Denkern in Universitäten oder geistlichen Seminaren muss ja über dem pflichtgemäßen Widerkäuen der Gedanken von tausend Jahren und über dem anstrengenden Verdauen immer neuer wissenschaftlicher Details jene kindliche Anmaßung verlorengehen, ohne die man nicht zu den Wurzeln vordringen kann. Die Entwicklung der Idee Gottes ist nicht am Ende. Das griechische Wort ethos bedeutet Gewohnheit. Das Gewohnte ist das Richtige, denn es hat sich bewährt. Natürlich: Nur in der Bewährung konnte es zur Gewohnheit werden. Die Weltverbesserung, die mit der abendländischen Fortschrittsidee über die Welt hereinbrach, ließ ja nicht nur die Zahl der Wohlhabenden und deren sogenannten Lebensstandard wachsen, sondern auch die Zahl der Armen und das Ausmaß von Elend und Verwahrlosung. Unsere Weisen predigen uns nach wie vor: Das Maß des Wohlstandes ist das Bruttosozialprodukt, auch Wertschöpfung genannt - und dieses Maß muss wachsen. Gleichbleibender Wohlstand ist als Unglück anzusehen! Was steckt hinter solcher Begriffsverwirrung? Man möchte fast auf Schwachsinn tippen - aber es ist ja die ganze aufgeklärte, wissenschaftlich gebildete Gesellschaft, die diese Idee zu Ihrem heiligsten Dogma erhoben hat! Propheten behaupten, der Wegweiser stehe falsch, obwohl er doch der Straße weist, der alle folgen. Die Produktion wird dorthin verlegt, wo Menschen und Natur leichter auszuplündern sind. Mit Hilfe von genügend Geld lassen sich ganzen Völkern, ja der gesamten Menschheit, die verblüffendsten Süchte und Wahnvorstellungen einpflanzen. Und so fand jeder Fortschritt, auch das schnellere Voranschreiten zum Abgrund, immer wieder Mehrheiten zu seiner politischen Durchsetzung. Ließ sich nicht sogar der Entschluss zum Krieg durch das Schüren von Ängsten und durch Versprechungen von Sicherheit und Beute immer wieder durchsetzen? Woran liegt es, dass unsere Intelligenz und unsere sonstigen Fähigkeiten derart schnell die Welt ruinieren? Die naturwissenschaftliche Weltanschauung ist dem Prinzip der Schöpfung auf der Spur! Aber bitte gut zuhören: Nicht der unendlich komplexen Schöpfung selbst - sondern ihrem Prinzip! Für mich offenbart sich Gott hier und jetzt in unseren "Motiven" und in unserem "Gewissen" - wie bei allen früheren Propheten - und aufgrund des gleichen Prinzips, mit dem schon immer, seit Beginn der Welt, "der Geist in die Materie kam". Gott als Ursprung der Schöpfung hat keine Eigenschaften - aber unendlich viele Möglichkeiten! Im Prinzip gilt doch: Alles hängt mit allem zusammen! Es gibt die Wirklichkeit; es gibt Möglichkeiten, "die es wirklich geben kann"; es gibt Möglichkeiten, die noch nicht, nicht mehr oder nie verwirklichbar sind; es gibt geistige Gestalten, die die Wirklichkeit anziehen und von ihr umkreist und umzappelt werden. Es gibt sie nicht in der Welt von Raum, Zeit und Materie, sondern als Attraktoren im Raum der Möglichkeiten, im "Jenseits" der "geistigen Welt". Auch Unwirkliches wirkt an der Verwirklichung von Wirklichem mit. Die Wirklichkeit ist nicht nur ein Schatten der Ideenwelt. Sie gehört durchaus dazu. Die Wirklichkeit ist ein Teil davon, eine Auswahl aus der Welt der Ideen. Mit dem "Ich bin" ist es genauso wie mit dem "Es gibt". Meine "Seele" - oder wie immer wir jenen Attraktor nennen wollen, den die Materie durch mich in der unendlichen Welt geistiger Gestalten annähert -, meine Seele ist das Wesentliche an mir - und nicht die Menge der Atome! Die Seele, dieser Attraktor, ist nicht im Leib! Umgekehrt: Der Leib - und das ist eben beim Menschen vor allem das komplexe Hirn - versucht, sie im Verwirklichungsprozess, das heißt in der Zeit, anzunähern. Wie Schnelles das Langsamere verdrängt, so verdrängt auch Großes das Kleinere. Hier haben wir also die "kritische Innovationsgeschwindigkeit" entdeckt: Wenn die führenden Gestalten an der Front der Evolution innerhalb ihrer eigenen Lebensdauer wesentliche Veränderungen an den eigenen Wurzeln bewirken, dann wird es unwahrscheinlich, dass das Neue mit dem Alten zusammenpasst - und dann wird es wahrscheinlich, dass die Problemerzeugung der Problemlösung davonlaufen muss. Als höchster Wert einer Neuigkeit gilt dann die "Originalität" - eben die Tatsache, dass sie neu ist. Dann ist weiterer "Aufstieg" unwahrscheinlich. Die Wertschöpfung wird instabil. Das Neue ist dann wahrscheinlich weniger Wert als das Alte. Es geht wahrscheinlich "bergab". Irgendeine Kultur musste durch ihr Tasten irgendwann in den Einzugsbereich der teuflischen Idee von Eile und globaler Herrschaft geraten. Und dann musste diese die Welt erobern, sie zu den eigenen Götzen bekehren und an den Rand des Untergangs bringen. Doch die Verwirklichung dieses abwärts führenden Attraktors fand nicht auf biologischem Niveau statt. Der Prozess, in dem der Teufel global in Erscheinung treten konnte, ist nicht in unseren biologisch-ethologischen Grundlagen organisiert, sondern in dem, was wir unsere geistigen Fähigkeiten nennen! Es ist Aberglaube, wir könnten schneller die Welt verbessern, als das logisch möglich ist. Es handelt sich um einen fundamentalen Denkfehler - also im wahrsten Sinne des Wortes um eine Geisteskrankheit. Auch der Teufel begegnet dem Menschen nicht als biologisches, sondern als geistiges Phänomen. Lassen wir die Beschleunigung auch nur eine Generation weiterlaufen, so ist die Entscheidung für den Untergang gefallen. Die logischen Voraussetzungen für den Erfolg des Evolutionsprozesses sind offensichtlich "Vielfalt und Gemächlichkeit". Wer sagt denn, die Götzen der Eile und Größe seien nicht zu überwinden? Natürlich wird es kaum gelingen, wenn sich alle begabten Menschen in wissenschaftliche Labors verkriechen und für irgendwelche Großdealer an leicht verkäuflichen "Innovationen" basteln. Wer will schon dem Teufel dienen? Das Problem ist, sich über seine Erkennungsmerkmale zu einigen! Wie schon viele unserer eindrucksvollsten Vorfahren haben auch wir kein "Bild von Gott"! Die Suche nach Gott ist das, was bleibt, wenn Götzen erkannt und gestürzt sind. Das sogenannte Energieproblem besteht nicht etwa darin, dass die Menschheit nicht genügend Energie zur Verfügung hätte, sondern ganz im Gegenteil: Es ist zuviel! - Wie bei jeder Sucht: Das wirkliche Problem liegt nicht darin, dass einem die Droge ausgeht, sondern darin, dass man einmal auf das Angebot hereingefallen ist. Man könnte ganz
allgemein sagen: Den sogenannten Realisten fehlt der Möglichkeitssinn!
Sie sind geistig schwerbehindert! Aber macht sie dies nicht eigentlich
unzurechnungsfähig? Müssen wir also die Schuld nicht jenen
zurechnen, die ihnen die Macht überlassen? - Wer ist das? In fortgeschrittenen Gesellschaften genügt dem Teufel das Geld - und es ist nicht einmal mehr festlicher Götzendienst mit größeren Opferzeremonien nötig, um es einzusammeln. Die Mehrheit opfert schon durch die Befriedigung der eigenen suchtartigen Bedürfnisse - und obendrein organisiert sie sogar noch auf demokratischem Wege, dass die Großdealer ihren Aufwand für Verdummung und Verführung als "Werbungskosten" von der Steuer absetzen dürfen. Ich sehe da aber nicht ganz so schwarz: Gegen die Einsicht in Selbstverständlichkeiten kämpfen auf die Dauer selbst Götter vergebens! Eine "ökologische Steuerreform" wird mit einer Besteuerung der offensichtlichsten Dummheiten anfangen - vor allem also der in alle Dummheiten einfließenden Energie. Wer weiß, ob nicht in weiteren zehn Jahren die Diskussion über eine grundsätzliche Besteuerung des "Großen und Schnellen" beginnen wird? Eine ögologische Steuerreform, die dafür sorgt, dass alle als schädlich erkannten Produkte systematisch versteuert werden, wird zu völlig verändertem "Bedarf" und damit zu einem ganz neuen Produktangebot führen. Es lässt sich
nicht mehr hinter Tabus verstecken: Die Organisationsmuster der globalen Beschleunigungskrise sind ganz eng verknüpft mit der Idee, es gebe ein Naturrecht auf Einkommen aus Eigentum. Unsere hergebrachte Wirtschaftstheorie klammert sich noch immer an die Ideen der alten Sklavenhaltergesellschaften: Das Eigentum einer Minderheit an den Lebensgrundlagen der Mehrheit gilt als heilig. Wie lange noch? Die Prediger am Rande des so schön gepflasterten Weges zur Hölle haben auf die Mehrheit immer lächerlich gewirkt. Wir müssen eine Reduktionsstrategie für das Einkommen aus Eigentum entwickeln - vor allem des Eigentums an den knappen Lebensgrundlagen Land und Geld. Die Idee des Einkommens aus Eigentum wird in der globalen Beschleunigungskrise lebensunfähig. Es muss Leute geben, die sich einmischen, ohne nach Geld oder Ruhm zu streben. Erfolgversprechende Selbstorganisation der Gesellschaft ist gerade nahe dem kritischen Punkt der Evolution nur möglich, wenn die besten Köpfe um die besten Ideen streiten - und nicht die Armen und die Reichen ums Geld. Demokratie bedeutet doch nicht, dass die Mehrheit wahrscheinlich Recht hätte. Selbstverständlich hat sie zunächst meistens unrecht. Es geht also darum, verfassungsmäßige Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen die Mehrheit nicht so leicht Katastrophen auslösen kann. Die Akzeptanz bei der Mehrheit muss zwar letztlich entscheiden - aber sie kann nicht am Anfang stehen. Die nahe Verwandtschaft von Sauberkeit, Zärtlichkeit und Grausamkeit ist im Menschen tief angelegt. Fast alle Werbung ist Lüge - nämlich eine gezielte Auswahl von Wahrheiten und umso gerissener, je teuerer sie ist. Wir könnten eine Steuer auf Unterhaltungssendungen erfinden, die mit der Anzahl der darin vorkommenden Schüsse, Schläge und Tritte exponentiell ansteigt! Wie man stets Priester fand, die die Waffen für den gerechten Krieg segneten, so findet man heute wissenschaftliche Gutachter für alles, was man gern täte, aber selbst nicht verantworten könnte. Alle Entwicklungen haben ihre Zeit. Sokrates und Jesus konnten nicht gegen die Sklaverei kämpfen - doch eines Tages war sie abgeschafft. Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der Menschen, die verstehen, worum es geht. Ich behaupte allen Ernstes: Die Wende kommt wahrscheinlich "von allein". Die Eliten, die sich dabei hervortun werden, wachsen in allen gesellschaftlichen Schichten heran. Jeder, der an der Wende mitarbeitet, wird die Verantwortung spüren - und viele werden das Gefühl haben, es komme vor allem auf sie selbst an.
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© Hubert Hirsch - Poetische Tagträume