Mystische Betrachtungen von Peter Rosegger:

 

 

  Zum Wegweiser auf der kosmischen Reise

 

Auf zum Sonnenkreis (Aus dem Roman "Erdsegen")

Pfingsten, das liebliche Fest ist gekommen! Ganz unbeschreiblich, Freund, wie jetzt die Bergwelt schön ist. An diesem Sonntag bin ich früh aufgestanden, bin hinaufgegangen durch das nasse Gras. Der Löwenzahn und das hohe Gestämme der Glockenblumen haben meine Beine weit herauf mit Tautropfen benetzt. Auf der Kulmplatte, wo vor sieben Wochen das Osterfeuer brannte, bin ich gestanden und habe hingeschaut. Dieses urgewaltige Bergland, ich habe es angebetet wie einen Pfingstaltar.

Freilich, man soll ja Gott nicht nach außenhin suchen im unbeschränkten Raum, sondern in der eigenen Brust, und da mag es ja sein, dass die enge Beschränkung in einer Steinmauer eher den Weg ins Innere weist als das freie Himmelszelt. Aber du lieber Gott, mein Inneres ist ja nicht gerade allein dort, wo der Blutmuskel pumpt und das Gehirn arbeitet, mein Inneres ist überall, wohin ich denken kann, ist in allem, was das Ohr hören und das Auge sehen und das Gemüt fassen kann. Alles, wovon ich weiß, alles ist mein Leib, mein Wesen.

Als an diesem Morgen mir solche Gedanken kamen, da jauchzte es plötzlich: Mensch, Welt, du bist ja erlöst! Mensch, du bist Weltall geworden! Weltall, du bist Mensch geworden! Du bist eins, du bist ewig, und dein Geist heißt Gott! - und da gibt's ja kein Leiden mehr, keine Unvollkommenheit, und wen sein Gürtel drückt am Menschenleib, der lege ihn ab und umgürte sich mit dem Sonnenkreis!

Ich habe es schon wiederholt geahnt, dass die Stimmung des höchsten Glückes gefährlich werden kann. Heißt das, was man so nennt. An diesem Pfingstmorgen auf der Kulmplatte hatte es mich einen Augenblick überkommen: Wenn ein Felsabhang da wäre, ich müsste jetzt in den Sonnenkreis fliegen. Aber der Bauernknecht in mir hielt den Allmenschen zurück und sagte: "Was fällt dir ein?"

Und da habe ich meinen unendlichen Leib, der mir ohnehin nicht entgehen wird, einstweilen an das Himmelszelt gehangen und ihn noch von außen angesehen, durch die Augen des Hans Trautendorffer.

 

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Wo ist der Himmel? (Aus "Mein Himmelreich")

Da verstummte die übermütige Frage: "Wie ist's im Himmel?", sondern man fragte mit Bangen und Zagen: " Wo ist der Himmel?" Man fragte die Priester, die Weltweisen, die Künstler und Poeten - nur den einen fragten sie nicht, den sie vor allem hätten fragen müssen. Gerade ihn nicht, der uns den Himmel gezeigt hat. Jesus, der Christ. Er hat nicht gegen das Firmament gezeigt, als er uns den Himmel wies.

Er hat uns die Ewigkeit des Himmels verheißen, aber uns mit dem Himmel nicht auf den Tod vertröstet, als ob zuerst das Sterben kommen müsse, als ob der Himmel nicht vorher anfangen könnte. - Lieber Freund, die Sache liegt ganz anders und weitaus besser. Nach der Lehre des Herrn kann der Himmel schon vor dem Tode anfangen, ja er muss sogar vor dem Tode anfangen, wenn er nach demselben sein soll. Wenn der Himmel bei dir nicht schon angefangen hat, so fängt er an, sobald du willst. Heute schon, in diesem Augenblick, kann der Schleier fallen, der dir das Himmelreich verdeckt hat, das in dich, du glückseliges Gotteskind, gelegt worden ist. In deinem Herzen musst du den Himmel suchen, in deiner Seele musst du ihn haben. Genau in deiner selben Seele, in der die kleinen Freuden und Leiden des heutigen Tages wohnen, in der du den schnöden Kummer und Ärger empfindest wegen deines Geschäftes oder Erwerbes, in der du den Hang hast nach dem Beifall der Mitbürger, nach dem Lobe in den Zeitungen, in derselben Seele, in der all die kindischen Bestrebungen und Eitelkeiten keimen, die dir heute den Vormittag ausfüllen und den Nachmittag und in der Nacht den ruhigen Schlaf verderben. Siehe, und in derselben kleinen Seele ist das große, ewige Himmelreich, ist der Anfang dieses Himmelreiches - sobald du nur willst.

Frage bloß dein einfältiges Herz. Wenn du einmal innerlich eine recht glückliche Stunde hast, sei es nach einer edlen Opfertat für Mitmenschen, sei es im Anschauen der Natur, sei es im Bewusstsein der Kindschaft Gottes ... - kurz, wenn du in dir eine Glückseligkeit empfindest, die mit irdischen Dingen und Bestrebungen nichts zu tun hat, eine Glückseligkeit, die ganz selbstlos und vergeistigt ist, so brauchst du dir diese Glückseligkeit nur ins Unendliche gesteigert zu denken, und du hast eine Ahnung davon, wie es im Himmel sein wird.

Das Himmelreich will nicht bloß ersehnt, es will auch erworben sein.

 

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Und ein ewiges Leben (Aus "Mein Himmelreich")

Das Jüngste Gericht in der Vorstellung des Volkes. Der letzte Tag. Der erste Tag! Der erste Tag eines neuen Seins. Auferstehung des Fleisches, sagt die Religion. Verwandlung der Substanz, sagen die Naturforscher.

Wenn im Herbst die Blätter von den Bäumen fallen, so will man das für ein Beispiel der Vergänglichkeit deuten. Ein schlechtes Beispiel, denn nach wenigen Monaten wachsen auf dem Baum junge Blätter, und es wird ein neuer Frühling, der ganz so ist, wie die früher waren. Nach hundert Frühlingen und Herbsten fällt endlich der Baum zusammen, doch aus seinem moderigen Stock sprießen junge Stämmchen frisch empor und ihrer Reihe von Frühlingen entgegen. Und der Mensch sinkt als Vater zu Grabe und steht als Kind wieder auf.

Alles ist dem Tode verfallen, man kann es sagen, aber auch: alles ist zum Leben bestimmt. Denn so viele wir täglich sterben sehen, so viele sehen wir geboren werden. Und wenn einst der Erdball alt und kraftlos sein wird, so wird er bloß ein wenig rasten, dann sich verwandeln und im Kosmos Mitstoff und Mitkraft zu einer neuen Lebewelt sein.

Die Wiederbelebung und Auferstehung der Substanz kann von niemandem geleugnet werden. Ich glaube aber auch dreist an die Auferstehung des Individuums. Sei es, dass der Vater im Sohne lebt, sei es, dass die scheinbar vergehende Person durch ein anderes Geheimnis das Bewusstsein ihrer selbst wiederfindet - ich glaube, dass dieses Ichbewusstsein vielleicht unterbrochen werden kann, dass es aber unzerstörbar ist.

Und wenn das Ich auch nur seine jeweilige Gegenwart weiß, sich aber nicht erinnern kann an Vergangenheiten, so glaube ich doch, dass von einem "Leben" zum anderen Ursachen und Wirkungen verbindend fortbestehen, die das Ichbewusstsein erhalten und bestimmen. Und so möchte es ja wohl sein, dass die Person in einem späteren Leben die Folgen eines früheren empfindet und zu tragen hat. Vervollkommnet sich ein Wesen in diesem Leben, so tritt es eben vollkommener in ein nächstes über, erniedrigt es sich hier, so wird es dort als niedrige Art wiedergeboren. Dieser Glaube dürfte recht sehr verstimmend wirken bei niedertrachtenden Kreaturen, ist aber wunderbar tröstend für den, der sich bestrebt, reiner und besser zu werden, denn er geht einem großen Leben entgegen - er nähert sich Gott. Und auf diesem Wege zu Gott die lebende, webende, blühende Natur, unendliche Rosen streuend auf den Leidenspfad, auf den Siegeszug.

Du sagst, du könntest dir nicht denken, dass du sein wirst. Ich kann mir nicht denken, dass du nicht sein wirst. Es wäre ja so ungereimt zu denken, dass du zwischen einer ewigen Vergangenheit und einer ewigen Zukunft nur heute ein bisschen solltest aufgestanden sein. Mache dich gut, mache dich glücklich, denn du wirst sein. Du kannst nicht flüchten, und der Tod, in dem du etwa deinen schlechten Adam verbergen wolltest, ist nur ein Versteck für kurze Zeit, gar bald liefert er dich wieder aus, gibt er dich zurück deiner Bestimmung, göttlich groß zu werden. Du entgehst nicht, und du wirst so lange störrisch leiden, bis du zur Erkenntnis kommst, und dann wirst du so lange ringen, bis du es erreicht hast ...

Menschenskind, du geheimnisvolles, unsterbliches Wesen! Und vergiss nicht, dass auch alle anderen Kreaturen den Kreis der Unsterblichkeit mit dir reigen. Was du auch zerstörst mit deiner Hand, zertrittst mit deinem Fuß, vernichtest mit feindseligem Herzen, glaube es den Gelehrten, dass die Atome unzerstörbar sind; glaube es den Mystikern, dass der Tod nicht sowohl eine Entseelung des Leibes bedeutet als vielmehr eine Entleibung der Seele; glaube es der Offenbarung, dass die Geschöpfe unsterblich sind. Halte Freundschaft mit den Tieren, die wie du sich emporarbeiten müssen ... Mache dich vertraut mit den Wesen der weiten Welt, denn du wirst ihnen immer wieder begegnen auf deinem Fluge durch die Ewigkeit, und immer näher werdet ihr euch, werden wir uns alle kommen, bis die endliche Vollkommenheit uns zu einem einzigen seligen Wesen vereinigt.

 

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Urwaldfrieden (Aus "Die Schriften des Waldschulmeisters")

Gefühlsschwärmerei treibe ich nicht. Wie er einzieht durch die Augen und Ohren und all die Sinne, der liebe, der schöne Wald, so mag ich ihn genießen. Nur der Einsame findet den Wald; wo ihn mehrere suchen, da flieht er, und nur die Bäume bleiben zurück.

Sie sehen den Wald vor Bäumen nicht. Ja, noch mehr, oder zwar noch weniger, sie sehen auch die Bäume nicht. Sie sehen nur das Holz, das zum Zimmern oder Verkohlen, das Reisig, das zum Besen dient.

Da flüstert es, da säuselt es; es sprechen miteinander die Bäume. Es träumt der Wald.

Ob es denn wahr ist, dass sich derselbe eine rote Faden fortspinnt durch alle Geschlechter des Menschen und Tierreiches bis hinab zum allerkleinsten Wesen? Ob denn alles nach dem einen und selben Gesetze geht, was der König Salomon getan auf seinem goldenen Throne, und was die träge sich wälzende Raupe tut unter dem Stein? Das möcht' ich wohl wissen ... Jeglicher Strauch tut auch so geheimnisvoll, als ob er hundert Leben und Waldgeister in sich verberge ... Auf dem Erdgrunde liegen die scharf geschnittenen Schattengestalten und darüber hin spinnen sich die Saiten des Lichtes. Und die Finger des Waldhauches spielen in diesen Saiten.

Wo kein Weg geht, dort geht der meine ... Es ist eine Lust, so in die Wildnis zu dringen, ins Dämmerige und Ungewisse hinein; was ich ahne reizt mich mehr, als das, was ich weiß; was ich hoffe, ist mir lieber, als das, was ich habe. Vielleicht geht es anderen auch so.

...

Trotz alledem kommt das Rehlein immer näher auf mich zu. Ich stehe wie eine Säule da und zehn Schritte vor mir das Tier und sieht mich an. Es ist mir schier unheimlich. Das muss kein rechter Mensch sein, zu dem das Wild sich gesellt ... Der ganze, aschgraue Leib des Tieres ist schön, kräftig und geschmeidig; wenn es den Kopf recht hoch erhebt, ist es fast stolz und seine Augen sehen so klug und gutmütig auf mich her.

"Ich weiß nicht," sage ich, "ob denn du auch immer suchest, ohne zu wissen, was; ob du dich abmühest Tag und Nacht, um ein Gut zu erreichen, das dich dann, wenn du es besitzest, doch nicht befriedigt ... Du hast und genießest voll, was du haben und genießen kannst; uns werden die süßen Freuden des Herzens von der Erbarmungslosigkeit des Verstandes und auch der Vorurteile vergällt. Unser Fühlen artet zum Denken aus, und das ist unser Unglück. W o l l e n   wir noch was Gutes haben, so müssen wir uns euch nähern."

...

Ein kühler Lufthauch fächelt, da stehe ich am Ufer eines Waldsees. Finstere Gewände und schlanke braune Stämme des Urwaldes schließen ihn ein. O, so still - so still ist's über dem See. Das verlorene Blatt einer Buche oder Eiche raschelt heran, ich höre jenes ewige Klingen der tiefsten Lautlosigkeit.

Es ist wo ein Glöcklein im Weltenraum, wir wissen nicht im Erdengrund hienieden, oder im Sternenkranze - das ruft uns allerwege. Und zur geruhsamen Stund' erfasst unsere Seele den traulichen Klang und sehnt sich ... und sehnt sich ---

Urwaldfrieden, du stille, du heilige Zuflucht der Verwaisten, Verlassenen, Verfolgten - Weltmüden; du einziges Eden, das dem Glücklosen noch geblieben! - Horch Andreas! Hörst du noch das Klingen und Hallen des wortlosen Liedes? Das ist das Jauchzen der Hirten in ihrem Paradiese. - Hörst du auch das ferne Pochen und Schallen? Das ist der Holzhauer mit der Axt - der Engel mit dem Schwerte.

 

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Einspanigs Offenbarung (Aus "Die Schriften des Waldschulmeisters")

Ich bin zum Jüngling herangewachsen. Meinen Hofmeister liebe ich wie einen älteren Bruder. Oft habe ich ihn insgeheim um seine Ruhe beneidet. In mir hat sich zur selbigen Zeit ein Unstetes zu regen begonnen. Im Hause ist es mir zu eng, im Freien nicht weit genug; ist es still, so verlangt mich nach Lärm, und habe ich Lärm, so sehne ich mich nach Stille. Mein Drang ist gewesen wie ein blinder heißhungriger, pfadloser Mann auf der Heide.

Da sagt mir einmal mein Erzieher: "Das, lieber Freund, ist der Fluch der Kinder der Welt. Das ist die rasende Sehnsucht, die trotz aller Güter und Genüsse der Erde keine Sättigung finden kann, außer sie flieht in die Burg, die Christus gegründet hat auf Erden."

"Wenn du zu mir sprichst", entgegnete ich, "du weißt doch, dass ich ein Christ bin."

"Das bist du nur in der Gesinnung", sagt er, "aber dein Leib ist es, der so wild nach Erfüllung lechzt. Deinen Leib musst du in die Burg Gottes einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich zu Gott, dass er dich so glücklich werden lassen möge, wie ich es bin, dass du wie ein Bruder Jesu werdest."

Seit diesem Tage, da mein Hofmeister so gesprochen hat, empfinde ich die Last und das Unstete in mir doppelt schwer; aber als ich mich ernstlich prüfe, sehe ich, dass es mir unmöglich wäre, der Welt zu entsagen.

"Du hast mich nicht verstanden", sagt hierauf mein Erzieher einmal, "und es wundert mich, dass du nach den Jahren der Erziehung deinen Freund so missverstehen kannst. Wer sagt dir, dass du den Freuden der Welt entsagen solltest? Die Freuden der Welt sind ein Geschenk Gottes; aber sie nicht zu genießen um seiner selbst willen, sondern zu Gottes Ehre, das ist es, was uns wahre Befriedigung gewährt."

 

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